Hallo Krümel,
für gute Wünsche kann man sich in der Tat nichts kaufen und Gesunden werden Erkrankte davon ebenfalls nicht. Vielleicht kann man sie aber dennoch aussprechen. Manch einem mag Mitgefühl ja doch irgendwie gut tun.
Was nun Ihre Anmerkungen zur Qualität von Studien angeht, so liegen unsere Ansichten hier gar nicht unendlich weit auseinander: Ja, bessere Daten zur Nutzen/Risiko-Abwägung wären hervorragend. Das ist aber natürlich viel leichter gefordert als ermittelt. Ihnen ist vermutlich bekannt, wie unbeschreiblich aufwendig es ist, klinische Studien durchzuführen („aufwendig“ ist zudem übrigens häufig ein anderes Wort für „teuer“); ich hatte bereits mehrmals die Gelegenheit zur Beteiligung an einer solchen.
Was würde man sich denn wohl von einer idealen Impfstudie wünschen und wie bekommt man das …? Hier nur einige, wenige Gedanken von mir dazu – das erhebt sicher keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
- Neutralität bzw. Unabhängigkeit vom Hersteller des Produktes. Ja, das wäre prima. Dann muss das viele Geld eben aus anderer Quelle fließen. Welche könnte das sein? Staatlich? Stiftung? Wie viele Studien mit negativem Ergebnis wird man sich ohne ein ökonomisches Fiasko leisten können? Ist es tatsächlich unseriös, wenn vom Hersteller Geld für eine Produktprüfung gegeben wird, er dies aber auch offiziell in eben dieser Studie angibt? Ist überhaupt gut, den Hersteller, der ja später im Erfolgsfall daran verdient, bei der Testung finanziell zu entlasten?
- Verblindung der Beteiligten ob Verum oder Placebo gegeben werden (das ist hier tatsächlich einmal relativ einfach und erfolgt in aller Regel auch so). Was aber machen Sie, wenn eine Gruppe auf halber Strecke bereits erheblich besser abschneidet als die andere? Abbruch aus ethischen Erwägungen heraus? Wie viel „besser“ tolerieren Sie noch? Alternativ: Aufheben der Verblindung und damit Minderung der Gesamtstudienqualität? Sollte man vielleicht besser gar nicht erst Zwischenauswertungen machen?
- Vergleichbarkeit der Gruppen. Wollen Sie im Vorfeld die Gruppen nach bestimmten Parametern abgleichen? Wenn ja: nach welchen (vermutlich abhängig von der Art der Infektion)? Grunderkrankungen? Risikoverhalten? Befragen Sie nur oder prüfen Sie das nach? Wenn nein: wie schließen Sie sonst einen relevanten Bias aus? Sie werden immer im Nachhinein irgendetwas finden, was man hätte besser machen können. Das alleine stellt aber nicht unbedingt die Aussage einer Studie vollständig infrage.
- Objektivität der Befundung. Laborbefunde lassen sich da noch vergleichsweise leicht erstellen. Aber wie stark sind „starke“ Kopfschmerzen? Ab wann ist lange anhaltendes Schreien eines Kleinkindes „lange“? Wie schließen Sie andere Ursachen für die beobachten Symptome aus? Gleiche Ereignisse werden von verschiedenen Menschen oftmals ganz unterschiedlich bewertet. Nicht alles ist standardisierbar. Nicht alles ist objektiv messbar.
- Wirksamkeitsnachweis. Was machen Sie, wenn der zu erwartende Erfolg erst mit starker zeitlicher Verzögerung zu erwarten ist (Jahre, Jahrzehnte)? Wollen Sie mit der Einführung eines möglicherweise gut wirksamen Präparates so lange warten und in der Zwischenzeit vermeidbare Infektionen und Komplikationen billigend in Kauf nehmen? Oder wollen Sie doch lieber das Restrisiko der Unsicherheit einer Wirksamkeit tragen? Wie hoch dürften denn solche Risiken sein? Wie führen Sie Nachweise bei einer niedrigen Prävalenzen herbei? Wollen Sie die Gruppengrößen entsprechend der Stichprobenumfangsberechnung heraufsetzen (dann explodieren Ihnen die Kosten)? Oder wollen Sie lieber die Studie an einen Ort mit höherer Prävalenz verlegen, vielleicht in ein 3.Welt-Land (dann hapert es schnell mit der Übertragbarkeit und Generalisierung der Ergebnisse nach Europa oder Sie rennen in eine ethisch-moralische Sackgasse)? Begnügen Sie sich stattdessen mit einem Surrogarparameter? Was nehmen Sie denn da? Den Antikörpertiter? Wie hoch sollte der denn sein?
- Methodik. Wie kommen Sie zur Dosisfindung? Wie viel Impfstoff wollen Sie verwenden? Wie schätzen Sie dessen Verträglichkeit vor der Anwendung am Menschen ab? Im Tierversuch? An welchem Modell? Oder nur in der Zellkultur? Welche Applikationsform schlagen Sie vor? Die meisten Impfstoffe werden in den Muskel verabreicht in der Annahme durch dessen gute Durchblutung eine starke systemische Reaktion hervorzurufen. Manche Impfstoffe werden in die Nase gepustet. Wirkt das besser? Muss man das vergleichen? Manche Impfstoffe werden geschluckt – und dann auch wieder ausgeschieden? Wie begrenzen Sie das Risiko für Reversion durch Wildviren, für Sekundärinfektionen bei Immunsupprimierten? Welche Zusatzstoffe akzeptieren Sie im Impfstoff?
- Surveillance. Wie lange wollen Sie eine Nachverfolgung der Patienten anstreben? 1 Woche, 1 Jahr, 10 Jahre? Mit jedem Tag, der vergeht ergeben sich unzählige andere Gründe und Erklärungen für Ereignisse. Wie viele Drop-outs sind zu erwarten, weil die Patienten nicht mehr auffindbar sind, nicht mehr mitmachen wollen, …? Das müsste man ja zu Beginn eigentlich auf die Gruppengröße nochmals draufschlagen. Kann man das überhaupt im Vorfeld verlässlich abschätzen? Wollen Sie sich also lieber auf die Intention-to-treat- oder doch auf die per-protocol-Gruppe stützen? Das ist nicht ganz trivial, denn beides hat so seine Vor- und Nachteile.
- Risikoabschätzung. Mit welchem Maß an Ungenauigkeit, Streubreite und Risiko sind Sie bereit zu leben? Welche Power fordern Sie dafür (80% - 90% - 95%)? Wir verimpfen in Deutschland weit mehr als 50.000.000 Impfdosen jedes Jahr. Es werden im Vergleich dazu jährlich ca. 200 Anträge auf Impfschäden gestellt und davon laut RKI wiederum <20% anerkannt. Einmal ausgehend davon, dass alle diese 200 Anträge zu Recht gestellt wurden und die Dunkelziffer dann auch noch den Faktor 100 (… ist nur geraten, Sie dürfen das gerne ganz anders einschätzen …) ausmacht, ergäben sich für das Impfen eine Sicherheit von 99,96%. Ist das nun eine konservative Schätzung, erscheint Ihnen das real, ist diese Vermutung völlig falsch? Wäre der Prozentsatz, wenn er denn überhaupt stimmt, zu wenig? Ab wann wäre er für Sie akzeptabel? Fragen Sie das einmal 100 Impfbefürworter und 100 Impfkritiker und Sie erhalten 250 verschiedene Meinungen dazu. „Impfschaden“ ist vielleicht auch nicht gleich „Impfschaden“. Sollte man alle berücksichtigen, sich nur auf „schwere“ beschränken? Wann ist der Schaden eigentlich „schwer“?
Ich kenne keine einzige Zulassungsstudie für Impfstoffe, die mir in allen Belangen ausnahmslos gefällt. Ich kenne übrigens auch keine Zulassungsstudie für andere Pharmaka, die mir in allen Belangen gefällt. Sie sind aber andererseits dadurch auch nicht völlig frei von Wert und ich habe eben auch keine besseren.
Es ist gar nicht so schwer, klinische Studien (– durchaus berechtigt –) zu kritisieren. Manche der in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen der Impfkritiker sind aus meiner Sicht eines medizinischen Fachgutachtens würdig, denn sie zeugen von großem Sachverstand der Immunologie und der Biostatistik. Dann wiederum lese ich Schlussfolgerungen eben dieser Kritiker, die sich meiner Meinung nach gar nicht aus deren Erkenntnissen ableiten lassen (auch da wird übrigens oftmals ganz schön viel miteinander vermischt). Das lässt mich dann wieder an der Qualität der Kritik zweifeln. Und dann finde ich oft noch gleich darunter einen Link zu irgendwelchen alternativen Therapieempfehlungen, für die es niemals irgendeine klinische Studie gegeben hat, die aber trotzdem von – nach eigenem Bekunden – kritischen Menschen nahezu kritiklos empfohlen bzw. angenommen wird … das verwundert mich dann schon.
Weder will ich mit alledem sagen, die Weisheit gepachtet zu haben (merke jeden Tag: hab ich nicht), noch soll dies ein Freibrief für mangelhaft konzipierte/durchgeführte Studien sein. Solange ich jedoch nichts Besseres habe oder erwarten darf, muss ich mich mit dem arrangieren, was verfügbar ist und an dieser Stelle kommen wir offensichtlich zu einer unterschiedlichen Gesamtbewertung der Thematik. Raum für Verbesserung ist hier aber sicherlich allemal gegeben, da gebe ich Ihnen gerne Recht.
Viele Grüße
?!
p.s.
Und auch die allerbeste Studie mit dem kleinstmöglichen Risiko von Problemen nutzt Ihnen natürlich immer noch nichts, wenn es schlussendlich dann doch Sie oder einen Angehörigen trifft. Ich weiss das. Das kann einem dann nur noch leid tun. Und dann ist vielleicht doch auch Mitgefühl angebracht.